„Zu verstehen, wie wir arbeiten und was uns antreibt, ist die Basis für effektive Teamführung.“

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Christine Prütz im Gespräch mit Tania Mercado, Beraterin für Personal- und Organisationsentwicklung

Frau Mercado, was sind die größten HR-Herausforderungen der kommenden Jahre?

Tania Mercado: Die größte Hürde sehe ich im Beziehungsaufbau innerhalb einer Remote- und Hybridstruktur. Wie vermeiden wir Informationssilos, vor allem abteilungs- und funktionsübergreifend? Technisch mag vieles gelöst sein, gerade im Zuge der Pandemie, aber der Austausch in den Büros lieferte oft mehr informelle Erkenntnisse. Hier sind die Unternehmen gefordert, die Kommunikation transparent und niedrigschwellig zu gestalten, insbesondere für neue Mitarbeiter.

Die zweite Baustelle betrifft die Schaffung eines attraktiven, integrativen Arbeitsumfeldes, das das Wohlbefinden aller Mitarbeiter – Stichwort ‚mental wellbeing‘ – im Blick hat. Der Fokus verschiebt sich vom ‚gender pay gap‘ hin zu einem umfassenderen DEIB-Konzept – Diversity, Equity, Inclusion, and Belonging. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Gleichstellung, sondern auch um die Anerkennung unterschiedlicher Persönlichkeiten im Team. Ein Beispiel wäre das Thema Neurodiversität. Wie Menschen lernen, wie sie Informationen aufnehmen wollen – da gibt es große Unterschiede. Ich kenne z.B. Unternehmen mit Neurodiversitätsgruppen, deren Mitglieder z.B. aus dem Autismus-Spektrum kommen – wir haben sie im Vorfeld zu einem Betriebsausflug befragt: Was muss beachtet werden, damit es für alle ein schönes Erlebnis wird? Die Liste der Aspekte, die dabei herauskam, diente nicht nur als Leitfaden für den Ausflug, sondern wir haben auch als Unternehmen daraus gelernt. Vor ein paar Jahren hätten wir wahrscheinlich nicht an all das gedacht. Wie können wir also ein Umfeld schaffen, das diese Vielfalt wertschätzt und das Potenzial der Mitarbeiter voll ausschöpft?

Eine dritte Herausforderung betrifft den Wandel traditioneller Arbeitsstrukturen. Hierarchien und Beförderungen werden in einem dynamischen Umfeld zunehmend obsolet. Die Rolle von heute kann in wenigen Jahren irrelevant sein. Dann sind andere Fähigkeiten gefragt. Viele Menschen suchen jedoch Sicherheit in traditionellen Arbeitsmodellen. Die Frage ist, wie wir mehr Flexibilität in diesen Strukturen ermöglichen können.

Welche Fähigkeiten und Kompetenzen brauchen Manager in den nächsten Jahren?

In der Führungslandschaft der Zukunft wird ein ganzer Blumenstrauß von Kompetenzen über Wachstum und Innovation entscheiden.

An erster Stelle steht für mich der Dauerbrenner Self-Awareness, also Selbstreflexion oder Selbsterkenntnis.

Zu verstehen, wie wir arbeiten und was uns antreibt, ist die Basis für effektive Teamführung. Mangelnde Selbstreflexion birgt das Potenzial für viele vermeidbare Konflikte. Sie fühlen sich z.B. von anderen Menschen angegriffen, weil sie Ihre Werte nicht zu respektieren scheinen.

Welche konkreten Schritte empfehlen Sie, um die Selbsterkenntnis zu verbessern?

Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was Ihnen wirklich wichtig ist, wie Sie arbeiten und kommunizieren? Die Erkenntnis, dass nicht alle Menschen gleich sind, ist hier sehr hilfreich! Diese Erkenntnisse können Sie dann auch mit anderen teilen. Einfache Beispiele: Wichtige Informationen erhalte ich am besten per E-Mail, für spontane Abstimmungen schicke ich eine Nachricht über Slack und Freigaben mache ich am liebsten am Montagmorgen. So geben Sie klare Hinweise, wie man effektiv mit Ihnen zusammenarbeiten kann. Diese Offenheit macht Sie ansprechbar und erleichtert die Arbeit. Andernfalls verfällt man in Vermutungen und schiebt die Schuld leichtfertig auf andere, die angeblich nicht verstehen, wie Kommunikation funktioniert.

Fangen Sie bei sich selbst an. Ich denke, jeder, aber ganz besonders eine Führungskraft, sollte ein wenig Zeit in Selbsterkenntnis investieren.

Sie haben von einem Blumenstrauß an Kompetenzen gesprochen. Welche zählen Sie noch dazu?

Weitere Kompetenzen sind Eigeninitiative und Veränderungsbereitschaft. Das bedeutet, immer wieder über den Tellerrand hinauszuschauen, aus eigenem Antrieb zu lernen, sich auf Veränderungen einzustellen und sie nach Möglichkeit zu begrüßen. Das erfordert Mut und Neugier auf Unbekanntes.

Und Kommunikation. Hier geht es auch um aktives Zuhören. Wie bezieht man die Informationen, die man von den Mitarbeitenden erhält, in Entscheidungen ein?  Wie kommuniziert man zielgruppen- oder persönlichkeitsgerecht im Team?

Wie können Führungskräfte sicherstellen, dass ihre Kommunikation auf die Vielfalt der Persönlichkeiten im Team abgestimmt ist und wie gehen Sie mit Unsicherheiten in der Kommunikation um?

Die zentrale Frage für eine effektive Kommunikation ist für mich: Kenne ich die Menschen, die ich erreichen will? Führungskräfte fragen mich oft, ob sie eine bestimmte Information an eine Person weitergeben sollen. Ich frage dann: Ist diese Information relevant für die Person? Wird sie ihr helfen? Handelt es sich um Gerüchte oder Fakten?

Kooperationsfähigkeit und Neugier sind weitere Erfolgsfaktoren. Am Beispiel der Feedback-Praxis lässt sich das gut veranschaulichen. Frühere Feedback-Richtlinien empfahlen, Beobachtungen zu äußern, welche Gefühle ausgelöst wurden und erwünschtes Verhalten aufzuzeigen. Bis vor wenigen Jahren habe ich selbst so gearbeitet. Heute empfehle ich, authentisch zu sein und statt starrer Formeln Neugier als treibende Kraft zu nutzen. Die Frage nach den Beweggründen für das Verhalten eines Mitarbeiters steht im Mittelpunkt. Diese Herangehensweise ermöglicht ein tieferes Verständnis der Zielgruppe, was wiederum eine effektivere und offenere Kommunikation fördert.

Nicht zuletzt: Verletzlichkeit. Denkmuster, nach denen Führungskräfte immer stark sein müssen und keine Fehler zeigen dürfen, sind nicht mehr zeitgemäß. Offen über eigene Fehler zu sprechen und Unsicherheiten zu zeigen, statt sie zu verbergen, zeigt eine Entwicklung hin zu einer empathischeren und vertrauensvolleren Führung.

Eine Methode, um Innovation im Unternehmen voranzutreiben, ist das sogenannte Action Learning – welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Das ist eine meiner liebsten Lernmethoden, bei der die individuelle Sichtweise jedes Mitarbeiters im Vordergrund steht. Eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Menschen, unabhängig von Hierarchien, Alter und Funktion, arbeitet gemeinsam und gleichberechtigt an einem Problem und betrachtet es aus verschiedenen Blickwinkeln. Bei trivago nennen wir das Peer Coaching. Wenn alle Fragen stellen oder Erfahrungen austauschen, entsteht eine sehr starke Verbindung und das Ergebnis sind oft vielversprechende Handlungspläne.

Zentral ist hier die bereits angesprochene Verletzlichkeit und ein sicherer Raum.

Inwieweit Mitarbeiter sich sicher fühlen, Fragen zu stellen, Fehler zu überdenken, hängt von der Unternehmensführung ab. Wenn hier eine positive Fehlerkultur an der Spitze vorherrscht, setzt sich das in der Belegschaft fort. Dann werden Fehler zugegeben und die Fähigkeit entwickelt, Autoritäten in Frage zu stellen.

Es hat sich bewährt, wenn Führungskräfte in diesen Besprechungen aktiv Feedback für Entscheidungen einfordern, im Sinne von „Was habe ich nicht bedacht?“ So wird jeder Einzelne zum Lernenden.

Die umgekehrte Praxis, dass Mitarbeitern nach einem Fehler die Verantwortung entzogen wird, kennen wir. Die bekannten Folgen in der Belegschaft sind Angst, auf Nummer sicher gehen, auf Anweisung handeln. Fehler werden vertuscht und die Konsequenzen daraus verschärft.

Nutzen Sie KI-Technologien im Recruitmentprozess?

Tools wie ChatGPT helfen mir beim ersten Brainstorming, wenn es um Stellenbeschreibungen und typische Fragen an und von Kandidaten geht. Ich würde aber mit Prompts arbeiten. Wir haben einmal eine Stellenanzeige mit ChatGPT erstellt, die uns so gut gefallen hat, dass wir sie sofort online gestellt haben. Allerdings war das Urteil einer Software, die Texte auf Inklusion/Diversität prüft, vernichtend. Die Anzeige war sehr einseitig, sehr männlich und nicht inklusiv. Das hat uns enorm sensibilisiert und ich würde versuchen, das mit entsprechenden Prompts auszuschließen.

Was empfehlen Sie Unternehmen, um Talente anzuziehen und zu halten?

Um Talente anzuziehen und zu halten, ist ein differenzierter Ansatz erforderlich. Es hängt davon ab, wo das Unternehmen steht und was es in Bezug auf Aufgaben und Gehalt bieten kann.

Vor allem muss die Rolle klar definiert sein und es muss ein gemeinsames Verständnis der Verantwortlichkeiten geben. Das klingt selbstverständlich, ist es aber oft nicht. Vermeiden Sie es, sich ausschließlich auf die Rekrutierung von erfahrenen Fachkräften zu konzentrieren, die genau diese Rolle bereits ausgefüllt haben. Dieser Ansatz mag in bestimmten Unternehmensphasen funktionieren, ist aber für die langfristige Bindung von Mitarbeitern nicht immer förderlich. Es besteht die Gefahr, dass Talente, die bereits mit der Aufgabe vertraut sind, sich nach kurzer Zeit langweilen und höhere Gehaltsforderungen stellen. Suchen Sie stattdessen nach Menschen, die sich weiterentwickeln wollen. Gehen Sie nicht davon aus, dass Erfolge in der Vergangenheit eine Garantie für künftige Erfolge sind. Nicht jeder muss unbefristet eingestellt werden.

Ich bin für einen pragmatischen und offenen Dialog. Wenn Mitarbeiter aus Gründen der persönlichen Entwicklung das Unternehmen verlassen, weil sie anderswo mehr Möglichkeiten und eine bessere Bezahlung finden, sollte man sich im Guten trennen und die Tür offenhalten. Damit sie vielleicht mit mehr Erfahrungen und Impulsen zurückkommen. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem engagierte Mitarbeiter, die gut unterstützt werden können, gerne bleiben. Nicht darum, eine Sackgasse für die besten Talente zu sein.