
Gesche Tietje im Interview mit Frerk Petersen.
Herr Petersen, wie verändert KI die HR-Rolle?
Frerk Petersen: In unserem mittelständischen Handelsunternehmen bedeutet der Einsatz von KI vor allem eines. HR wird datengetriebener und strategischer und das ist auch gut so. Die Zeit, in der HR primär ein administrativer Dienstleister war, ist vorbei. Themen wie Unternehmenskultur, Performance, Fluktuation, Engagement und Personalentwicklung lassen sich künftig fundierter analysieren und steuern.
Auch im Recruiting wird KI zunehmend das erste Screening übernehmen – schneller, objektiver, effizienter. Der persönliche Kontakt bleibt aber essenziell. Gerade im Mittelstand, wo kulturelle Passung und Vertrauen zentrale Erfolgsfaktoren sind, kann und darf KI das menschliche Gespür nicht ersetzen.
Naheliegend ist auch, dass Prozesse wie Onboarding, Zeiterfassung oder Vertragsmanagement automatisiert werden. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird KI bald auch Impulse geben können, welche HR-Maßnahmen in konkreten Situationen sinnvoll sind, vom Feedbackprozess bis hin zur Mitarbeiterbindung.
Wie stärkt man die Unternehmenskultur in hybriden/remote Teams?
Gerade im Mittelstand ist das eine anspruchsvolle Aufgabe. Hybride Modelle sind heute unverzichtbar, insbesondere weil die jüngeren Generationen sie erwarten, aber sie funktionieren nur mit klarer Kommunikation, gegenseitigem Vertrauen und einer aktiv gelebten Vision.
Für mich beginnt Kultur nicht mit einem Poster an der Wand, sondern mit der Antwort auf die Frage: Wofür stehen wir, und wo wollen wir gemeinsam hin? Das muss immer wieder spürbar gemacht werden – in Führung, in Entscheidungen, in Begegnungen.
Wichtig ist eine bewusste Meeting-Kultur, das heißt, es muss geklärt werden, was in eine Mail, was in den Chat und was in den Call gehört, regelmäßige Präsenzzeiten, besonders im Führungsteam, sowie feste 1:1-Gespräche zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden. Und wir brauchen Räume für echte Gefühle, nicht nur für Fakten. Eine ehrliche und transparente Kommunikation ist dafür die Voraussetzung, auch wenn es mal nicht rundläuft. Denn nur wer offen bleibt, bleibt glaubwürdig.
Dabei ist klar, dass für die Kultur eines Unternehmens nicht nur HR und die Geschäftsführung verantwortlich sind. Eine gute Unternehmenskultur kann nur entstehen, wenn alle mitgestalten. Jeder Einzelne trägt Verantwortung dafür, wie wir zusammenarbeiten, wie wir miteinander umgehen und was wir daraus machen. Kultur wird nicht verordnet, sondern entsteht im Alltag, im Verhalten und in den kleinen Momenten. Nur gemeinsam können wir sie aufbauen und weiterentwickeln.
Wie positionieren sich Unternehmen im „War for Talent“ für nachhaltige Bindung?
Für uns im Mittelstand ist Mitarbeiterbindung oft sogar wichtiger als die Mitarbeitergewinnung. Wir konkurrieren nicht über die größten Budgets, aber über Kultur, Haltung und Miteinander.
Was unsere Teams bei uns hält ist das, was Konzerne nicht immer bieten können, nämlich Nähe, Sichtbarkeit und Vertrauen. Unsere Mitarbeiter übernehmen echte Verantwortung, gestalten mit und erleben direkt, welchen Unterschied sie machen.
Flache Strukturen, kurze Wege und schnelle Entscheidungen sind bei uns keine Klischees, sondern Alltag. Wer bei uns arbeitet, tut das meist aus Überzeugung. Trotzdem müssen wir als Arbeitgeber mehr tun. Wir müssen individuelle Entwicklung ermöglichen, Lernangebote bereitstellen und regelmäßig über Perspektiven sprechen. Wer Leistung bringt, will sich weiterentwickeln und das sollte kein Zufallsprodukt sein.
Welche Bedeutung haben ESG und Nachhaltigkeit für zukünftige HR-Strategien?
Das Thema wird oft sehr schnell sehr groß gemacht. Sicher ist, dass ESG und Nachhaltigkeit gesellschaftlich relevant sind, besonders für die junge Generation. Ob ESG und Nachhaltigkeit jedoch zu zentralen Bausteinen künftiger HR-Strategien im Mittelstand werden, bleibt abzuwarten.
Was ich allerdings mit Überzeugung sagen kann ist, dass eine glaubwürdige Unternehmenskultur, gelebte Werte und soziale Verantwortung starke Bindungstreiber sind. Vielfalt, Inklusion und Gleichbehandlung sind für mich keine Imageprojekte, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wer das lebt, gewinnt das Vertrauen von Mitarbeitenden und Bewerbenden.
Welche neuen HR-Technologien werden das Personalwesen revolutionieren?
Die HR wird sich verändern und zwar grundlegend. Weg von der Administration, hin zu strategischer, datengetriebener und menschennaher Arbeit. Neue Technologien machen das möglich, gerade auch für den Mittelstand.
Ich sehe großes Potenzial in KI-gestützter Talentgewinnung, automatisierter Lebenslaufanalyse, Video-Recruiting mit intelligenter Auswertung und in der Echtzeitanalyse von Mitarbeiterzufriedenheit. So wird HR endlich in die Lage versetzt, auf Basis von Fakten zu handeln statt nur aus dem Bauch heraus.
Auch klassische Prozesse wie Zeiterfassung, Urlaubsanträge, Onboarding oder Vertragsmanagement werden smarter. Das Ziel ist, dass HR Zeit gewinnt für das, was wirklich zählt. Nämlich für die Menschen im Unternehmen.
Ein weiterer Hebel ist der Einsatz von Chatbots, die rund um die Uhr grundlegende Fragen zu HR-Prozessen, Unternehmensrichtlinien oder anderen Themen beantworten und so Transparenz und Selbstständigkeit fördern. Zudem können durch die Zeitersparnis beim Erstellen von Stellenprofilen effizientere Strukturen in den Fachabteilungen aufgebaut werden. KI liefert in kürzester Zeit relevante Daten, analysiert diese und präsentiert erste fundierte Vorschläge – insbesondere dann, wenn sie durch regelmäßige Nutzung mitlernt.
Weiterbildung, Transparenz, Effizienz – all das sind Chancen, die wir mit der richtigen KI-Strategie nutzen können. Die HR der Zukunft ist digital, faktenbasiert und trotzdem nah am Menschen.