„Marktleiter im Handel: Arbeitszufriedenheit, Wechselmotivation und Zukunftsaussichten“

Wie Anja Odenthal die Arbeitszufriedenheit der Marktleiter im Handel beurteilt und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.

Frau Odenthal, Sie besetzen Fach und Führungspositionen im Handel, wie schätzen Sie die Arbeitsmarktsituation bei Marktleitern ein?

Früher blieb ein Mitarbeiter ein Arbeitsleben lang seinem Unternehmen treu und ein Wechsel zu einem anderen Unternehmen galt als riskanter Schritt. Heute bedeutet er für viele Kandidaten Aufbruch zu neuen Erfahrungen, ein besseres Gehalt und spannende Karrierechancen.

Wie zufrieden sind die Marktleiter bei ihren Arbeitgebern?

Die Zufriedenheit der Marktleiter bei ihren jeweiligen Arbeitgebern erlebe ich im Allgemeinen als recht hoch. Die Aussage, „Ich muss ja nicht wechseln und bin eigentlich zufrieden“ höre ich öfter. Dennoch überwiegt dann die Neugier oder meine Ansprache ist die Initialzündung über den eigenen Karriereweg nachzudenken und sich neu zu orientieren.

Was schätzen die Marktleiter an ihren Arbeitgebern?

Das ist von Branche zu Branche unterschiedlich. Flache Hierarchien, Entscheidungsfreiheit beispielsweise bei der Positionierung der Ware, eigene Ideen einbringen zu können, Nachvollziehbarkeit der Arbeitsprozesse und funktionierende Lieferketten.

Das reicht den Führungskräften?

Da gibt es weitere Gründe wie Wertschätzung, gute Beziehung zum Bezirksleiter, eventuell auch die Aussicht auf Karrierechancen innerhalb ihres Unternehmens. Bei Marktleitern in der Bio-Lebensmittelbranche stelle ich viel Zufriedenheit und Treue zum Unternehmen fest, das erkläre ich mir mit dem neudeutschen Wort „purpose“.

Warum „purpose“?

Hier geht es den Mitarbeitern um mehr als nur „Geld verdienen“. Der gesellschaftliche Beitrag, den diese Unternehmen leisten, sowie die Investition in die Erhaltung der Umwelt, gesundes Essen und das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit gibt vielen Marktleitern in der Bio-Lebensmittelbranche das Gefühl eines höheren Wertes ihrer Arbeit als in anderen Branchen. Da steht dann das Gehalt als Motivationsfaktor für einen Wechsel nicht an erster Stelle.

Was kommt bei den Marktleitern nicht so gut an?

Natürlich sind die Arbeitszeiten und viele Überstunden ein herausfordernder Faktor im Handel, sowie die nicht vorhandene Möglichkeit Homeoffice zu machen. Ab auch das Erschließen neuer „Geschäftsfelder“ durch die Geschäftsleitung, beispielsweise der aktive Verkauf von Stromverträgen in Elektrofachmärkten, führt zu Druck in der Belegschaft und damit zu Unzufriedenheit am Arbeitsplatz. Auch bei Franchisesystemen werden unsinnig empfundene Prozesse als erfolgsverhindernd wahrgenommen und erschweren den Marktleitern den Alltag.

Was sind denn solche Prozesse?

Das kann die detaillierte Ausarbeitung der Anordnung der Waren sein, die je nach Größe und Zuschnitt des jeweiligen Geschäftes unpassend sein kann. Wenn aber seitens der Marktleitung nicht genau so aufgebaut wird, wie von der Geschäftsleitung vorgesehen, gibt es Diskussionen. Als starr empfundene Vorgaben erschweren sinnvolle Entscheidungen und das macht die Marktleiter unzufrieden.

Welche Nachteile hat der Einzelhandel im Vergleich zu anderen Jobs beispielsweise im Außendienst?

Viele Marktleiter signalisieren mir, „ich habe kein Interesse mehr an einer Marktleiterposition, ich möchte aus dem Handel raus, melden Sie sich gerne, wenn Sie etwas Passendes für mich haben“. Dahinter steht der Wunsch und die Vorstellung, dass man zeitlich flexibler agieren kann, ein Firmenfahrzeug gestellt bekommt, das Stresslevel geringer und die Vergütung bestenfalls noch attraktiver ist.

Was ist den Kandidaten bei einem Wechsel wichtig?

Sicher ist die Branche um die es geht, wichtig: Marktleiter aus den Bereichen Möbel, Küchen, und Mode sind nicht sehr interessiert daran die Branche zu wechseln, während ich Marktleiter aus der Lebensmittelbranche als offener erlebe. Frauen wechseln grundsätzlich weniger gern, vor allem nicht in eine andere Branche. Wichtig für die Kandidaten ist auch die Firmenphilosophie des suchenden Unternehmens und auch mal die Kununu Bewertung.

Gibt es noch mehr Gründe für einen Wechsel?

Die Möglichkeit des Aufstiegs bei stellvertretenden Marktleitern und Teamleitern auf die Marktleiterposition ist ein anspornender Wechselfaktor, ich erlebe auch bei Bezirksleitern, dass sie aus familiären Gründen nicht mehr so viel beruflich unterwegs sein wollen und wieder zurückkehren möchten auf die Fläche.

Wie steht es um das Einkommen?

Es geht auch ums Geld: Eine wettbewerbsfähige Vergütung und Bonuszahlungen, Prämien und betriebliche Vorteile sind attraktiv aber auch mittlerweile marktüblich. Dazu kommt noch: viele Marktleiter wünschen sich ein Firmenfahrzeug.

Wie hat sich der Einzelhandel in den letzten Jahren verändert und welche Auswirkungen haben diese Veränderungen auf die Branche?

Im Lebensmitteleinzelhandel sind die Arbeitszeiten deutlich erweitert worden, was viele Leistungsträger in andere Branchen schielen lässt. Auch die Attraktivität von remote oder hybrider Arbeit ist etwas, das sich viele Arbeitnehmer wünschen, was aber im Einzelhandel nicht realistisch umsetzbar ist.

Wie ist es anderswo?

Bei den Elektrofachmärkten ist der Preisdruck enorm gestiegen, weshalb sich die Fachmärkte neue Geschäftsfelder erschließen müssen. Hier ist es wichtig, die Mitarbeiter mitzunehmen, entsprechend zu schulen und Gespräche zu führen, sonst ist hier die Abwanderung programmiert.

Und wo ist die Lage besonders unangenehm?

In der Modebranche sehen wir die Entwicklungen der letzten Jahre sicher am Einschneidendsten: wer die Thematik Online Handel verpasst hat, ist nicht mehr wettbewerbsfähig und muss im schlimmsten Fall komplett schließen. Da suchen sich Führungskräfte lieber rechtzeitig einen neuen, sicheren Arbeitsplatz.

Welche Strategien und Lösungsansätze sehen Sie, um den Herausforderungen im Handel zu begegnen?

Aus einem Markt, in dem die Firmen sich die Bewerber aussuchen konnten, ist ein Kandidatenmarkt geworden. Mitarbeiter wissen um ihren Wert und da ist der Arbeitgeber gefordert. Ich denke, dass die Arbeitgeber sich hier schon viele Gedanken gemacht haben.
Eine Kultur der Offenheit, die Wünsche und Bedürfnisse der Mitarbeiter zu hören und zu sehen, wie man diese umsetzen kann, führt zu einer dauerhaft zufriedenen Mitarbeiterbindung.

Wie finden Sie die passenden Kandidaten für die Unternehmen?

Wir bemühen uns, Objektivität in den Einstellungsprozess zu bringen. Das ist bei einem Thema, das komplett mit Menschen zu tun hat, vielleicht etwas herausfordernder als bei Waren oder Produkten, die man eindeutig klassifizieren kann. Daher arbeiten wir mit Online-Assessments. Die Kandidaten sind sehr offen dafür, wozu auch beiträgt, dass sie die Möglichkeit haben, ihr Testergebnis einzusehen.

Was außer Fachwissen muss ein Bewerber noch mitbringen?

Neben den fachlichen Qualifikationen sind überfachliche Kompetenzen wie die Persönlichkeit wichtiger denn je im Arbeitsalltag.

Worin besteht Ihre Rolle?

Eine entspannende Neutralität ist durch unsere Rolle während des Einstellungsprozesses gegeben. Ich habe schon mehrmals erleben müssen, dass es zu einem Missverständnis kam, welches ich durch meine vermittelnde Rolle recht einfach ausräumen konnte, da beide Seiten vertrauensvoll mit mir sprechen konnten. Da wäre es ohne mich vielleicht gar nicht zum Vertragsabschluss gekommen.

Was macht für Sie den Reiz aus, ausgerechnet Marktleiter zu suchen?

Normalerweise erlebe ich die Kandidaten als kommunikativ und aufgeschlossen. So habe ich die Möglichkeit, zu verstehen, was die Bedürfnisse des jeweiligen Kandidaten sind und kann darauf eingehen. Fehlbesetzungen und Nichtbesetzungen sind für die Unternehmen gleichermaßen teuer.

Worin sehen Sie Ihr persönliches Ziel?

Es geht mir darum, sowohl für das Unternehmen, das mich beauftragt hat, als auch für den Kandidaten eine Win-win Situation herzustellen. Niemand hat etwas davon, eine falsche Entscheidung zu treffen, denn beide – Unternehmen und Kandidat – streben eine langfristige Zusammenarbeit an.